Die Wiener Gastronomie befindet sich in einer Phase der intensiven Neuorientierung. In den vergangenen Jahren haben sich die Bedingungen in der Branche spürbar verändert: Fachkräftemangel, veränderte Ansprüche von Gästen, ein verschärfter Kostendruck sowie neue Technologien und Kommunikationskanäle beeinflussen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Nach der pandemiebedingten Krise zeigt sich, dass die bisherigen Strategien nicht mehr ausreichen, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben. Dieser Wandel wird von vielfältigen Initiativen begleitet, die darauf abzielen, die Branche widerstandsfähiger als auch attraktiver zu machen.
Fachkräftemangel: Eine anhaltende Herausforderung
Der Mangel an qualifiziertem Personal ist kein kurzfristiges Phänomen, sondern seit Jahren ein strukturelles Problem. Laut Angaben der Fachgruppe Gastronomie der Wirtschaftskammer Wien, hat sich die Personalsituation in vielen Gastronomiebetrieben über die letzten Jahre weiter zugespitzt. Ursächlich dafür sind unter anderem die wachsende Zahl an Berufsalternativen, steigende Anforderungen an Arbeitsbedingungen und Löhne sowie die tendenziell abnehmende Bereitschaft, in klassischen Schicht- und Wochenendstrukturen zu arbeiten.
Die Folge: Betriebe müssen ihre Prozesse anpassen, Stellen unbesetzt lassen oder auf weniger qualifiziertes Personal zurückgreifen. Um gegen diese Entwicklung vorzugehen, werden Strategien wie verbesserte Aus- und Weiterbildungsprogramme, intensivere Nachwuchsförderung, die Stärkung beruflicher Schulen und Hotelfachschulen, aber auch internationale Rekrutierungsmaßnahmen erprobt. Der Austausch mit Bildungseinrichtungen und die Anpassung von Lehrinhalten an aktuelle Marktanforderungen sollen sicherstellen, dass Neueinsteigerinnen und Neueinsteiger bereits mit passenden Kompetenzen in den Beruf starten.
Nachwuchs gewinnen, Perspektiven aufzeigen
Einen großen Schwerpunkt legen Branchenverbände und Kammern auf eine modernisierte Ausbildung. Hotelfachschulen, Tourismuskollegs und duale Lehrmodelle werden überarbeitet, um Berufe in der Gastronomie attraktiver und diverser zu gestalten. Längst geht es nicht mehr nur um Servieren und Kochen, sondern auch um Managementkenntnisse, Marketing, den Einsatz digitaler Tools oder den Umgang mit Themen wie Nachhaltigkeit und Ernährungstrends. Ziel ist, jungen Menschen klarzumachen, dass die Gastronomie mehr bietet als klassische Handgriffe: Sie kann ein Sprungbrett für internationale Karrieren und leitende Positionen sein.
Informationsveranstaltungen, Berufsinformationstage und Kooperationen mit Tourismusschulen wie dem Modul und der Gastgewerbefachschule am Judenplatz (GAFA) sollen das Interesse der jüngeren Generation wecken. Durch Mentoring-Programme und praxisnahe Projekte versuchen Betriebe, frühzeitig Talente an sich zu binden und ihnen perspektivenreiche Laufbahnen aufzuzeigen. Ob dieser Ansatz Wirkung zeigt, wird sich erst mittelfristig belegen lassen.
Internationale Fachkräfte als Teil der Lösung
Da die Rekrutierung vor Ort allein häufig nicht ausreicht, rücken auch internationale Fachkräfte stärker in den Fokus. Hier stellt sich die Frage, wie Wien seine Attraktivität für ausländische Arbeitskräfte erhöhen kann. Neben rechtlichen Hürden (Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen) ist vor allem eine gelungene Integration entscheidend: Sprachförderungen, Unterstützung bei Behördengängen, kulturelle Einführungen und klare betriebliche Strukturen sollen dazu beitragen, dass qualifizierte Kräfte aus dem Ausland langfristig in Wiener Betrieben verbleiben.
Die Öffnung für internationale Fachleute führt dabei nicht nur zu einer besseren Personaldecke, sondern kann auch neue Impulse für die Wiener Küche selbst setzen. Unterschiedliche kulinarische Hintergründe bereichern das Angebot, fördern Kreativität und erweitern das gastronomische Spektrum der Stadt.
Die Anerkennung der fachlichen Ausbildung von Arbeitsuchenden aus Drittstaaten ist noch immer viel zu kompliziert. Wenn eine österreichische Berufsbildende Schule bestätigt, dass die Lehrinhalte der Ausbildung für eine Tätigkeit in Österreich genügen, dann sind diese vom AMS anzuerkennen und dürfen nicht von der Einschätzung eines einzelnen AMS-Sachbearbeiters abhängen. Jede gut ausgebildete Arbeitskraft, egal woher sie kommt, wird dringend in der Branche gebraucht. Hier ist der Gesetzgeber wieder einmal dringend gefordert!
Peter Dobcak | Obmann Fachgruppe Gastronomie Wien
Digitale Lösungen: Zwischen Effizienz und neuer Kommunikation
Die Einführung digitaler Tools ist in vielen Wiener Gastronomiebetrieben längst Praxis. Kassensysteme, Personalverwaltungs-Apps und Reservierungsplattformen unterstützen im Alltag und ermöglichen trotz knapper Personalressourcen einen reibungsfreieren Ablauf. Zusätzlich verändern soziale Netzwerke wie Instagram oder TikTok die Art und Weise, wie Betriebe mit ihrer Kundschaft und potenziellen Mitarbeitenden kommunizieren. Hinter-den-Kulissen-Einblicke, kurze Videoporträts von Teammitgliedern oder originelle Produktpräsentationen schaffen unmittelbare Kontaktpunkte, die im traditionellen Marketing so nicht möglich waren. Dabei zeigt die Social Media Initiative „Wiener Genuss“ einen frischen Zugang zur Berufung in der Gastronomie.
Die Verlagerung von Kommunikations- und Recruiting-Prozessen ins Digitale ist allerdings kein Selbstläufer: Betriebe müssen intern Know-how aufbauen oder externe Beratung in Anspruch nehmen, damit die Technik nicht nur genutzt, sondern auch strategisch sinnvoll eingesetzt wird.
Mehr Wert auf Nachhaltigkeit und Regionalität
Parallel zu diesen strukturellen Veränderungen verschieben sich auch die Anforderungen von Gästen. Die Nachfrage nach regionalen, biologisch produzierten oder nachhaltigen Lebensmitteln wächst. Dies ist für viele Wiener Betriebe Anlass, ihre Lieferketten zu überprüfen, engere Kooperationen mit lokalen Produzenten einzugehen und den Wareneinsatz bewusster zu gestalten. Einige Betriebe experimentieren zudem mit kreislauforientierten Konzepten, Abfallvermeidung oder alternativen Ernährungsangeboten.
Diese Entwicklungen sind mehr als nur ein kurzfristiger Trend. Nachhaltigkeit wird zunehmend als Standort- und Markenfaktor wahrgenommen, der nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich Sinn ergibt. Betriebe, die sich frühzeitig positionieren, können sich von ihren Mitbewerbern abheben und eine neue, kritischere Gästegruppe dauerhaft an sich binden.
Offen gegenüber Neuerungen
Die Summe dieser Veränderungen macht deutlich, dass die Wiener Gastronomie nicht mehr in starren Mustern verharrt. Stattdessen wird versucht, den Wandel aktiv mitzugestalten. Ob über neue Arbeitszeitmodelle, eine fundierte Nachwuchsförderung, internationale Einbindung oder technologischen Fortschritt: Die Branche ist auf der Suche nach Wegen, ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern.
Die Wirtschaftskammer Wien sowie die Fachgruppe Gastronomie stehen dabei als Ansprechpartner bereit, um Impulse zu setzen, Informationen bereitzustellen und Betriebe untereinander zu vernetzen. Nicht jede Maßnahme wird sich sofort als Erfolg erweisen, und manche Lösungsansätze erfordern Anpassungen, bevor sie auf breiter Ebene greifen. Fest steht jedoch: Die Bereitschaft, bislang gewohnte Abläufe und Denkweisen zu hinterfragen, ist so hoch wie selten zuvor.
Ausblick: Kein rascher Durchbruch, aber eine Chance
Ein schneller Durchbruch ist angesichts der vielfältigen Herausforderungen nicht zu erwarten. Der Fachkräftemangel wird sich nicht über Nacht auflösen, die Digitalisierung stellt hohe Anforderungen an Weiterbildungen, und Gäste werden fortlaufend neue Erwartungen mitbringen. Doch in dieser komplexen Situation liegt zugleich eine Chance: Wer sich frühzeitig auf veränderte Rahmenbedingungen einstellt, macht aus einer vermeintlichen Krise eine Gelegenheit, neue Maßstäbe zu setzen.
Wien könnte in den kommenden Jahren als Beispiel gelten, wie eine traditionsreiche Gastronomie auf Veränderungen reagieren kann, ohne ihren Kern aufzugeben.
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