Während manch großen Häusern die Bodennähe abhanden zu kommen scheint, machen junge Winzer die Bescheidenheit zum Geschäft: Der Trend geht zu kleinen Anbauflächen, die dafür selbst bewirtschaftet und vermarktet werden. Das Ergebnis sind individuelle Kompositionen, die einen regelrechten Boom erleben.
Mehr Absatz, mehr Umsatz, mehr Export – das ökonomische Paradigma vom Wachstum mit allen Mitteln hat auch in der Champagnerbranche zu einer industriellen Revolution geführt. Großunternehmer lassen oft hunderte Weinbauern für sich arbeiten. Sinkende Preise und höherer Gewinn sind die Folge. Die Schätzungen gehen so weit, dass die großen Häuser zwar nur zehn Prozent der Anbaufläche selbst besitzen, durch den Zukauf von Trauben aber etwa neunzig Prozent des Umsatzes in ihre Kellerkassen gespült werden.
Die Kehrseite ist ein oft bemängelter Verlust der Nähe zum Produkt, ein Champagner-Mainstream – der von renommierten Häuser allerdings gewünscht ist, denn Geschmack und Linie sollen gerade bei den Basis-Cuvees für den Kunden wiedererkennbar sein. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Gegentrend zu entwickeln begann. Dieser Trend firmiert mittlerweile längst unter dem journalistischen Label „Winzer-Champagner“ und versteht sich als Antithese zur industriellen Massenware. Im Idealfall handelt es sich bei den Winzern um „Récoltants Manipulants“, wie der französische Fachbegriff für Weinbauern lautet, die tatsächlich nur eigene Trauben verarbeiten und vermarkten.
Traditionalisten und Revolutionäre
Der Boom der Champagner-Manufakturen ist dabei keineswegs Selbstzweck, die Kunst der Winzer kein l’art pour l’art. Vielmehr lässt sich die Entwicklung individueller Produkte mit starkem Charakter auf einen allgemeinen gesellschaftlichen Trend zur Individualisierung zurückführen, der sich auch im Konsum von Genussgütern widerspiegelt. Der parallele Hype um Craftbiere ist nur ein, wenngleich sehr markantes, Beispiel. So sind die kleinen, selbstbewussten Winzer in den Tälern der Champagne sowohl Traditionalisten, die sich der großflächigen Vermarktung sperren, als auch geistige Weggefährten der Start-Up-Generation des Silicon Valley. „Champagner-Revolutionäre“ taufte das Magazin „Falstaff“ einmal die jungen Wilden und beschied ihnen einen „Geist des Umbruchs und der Innovation“.
Dieser Innovationsgeist schlägt sich auch im vermehrten Rückgriff auf biologische Anbauprozesse nieder. So pflanzt und verarbeitet zum Beispiel Franck Pascal in seinen 3,5 Hektar großen Weingärten rund um Baslieux-sous-Chatillon nach den Prinzipien der Biodynamik. Und auch Frauen treten in der traditionell männlich geprägten Winzerdomäne zusehends ins Rampenlicht: So etwa Delphine Brulez oder Oriane Carreau, die beide gute Chancen haben, bei der diesjährigen Ausgabe der Trophées Champenois zur Winzerin des Jahres gekürt zu werden.
Es tut sich also etwas in der Champagne. Der industriellen Revolution der großen Häuser läuft eine Konterrevolution der jungen, aufstrebenden Weinbauern entgegen. Der Vielfalt in den Kellern kann das jedenfalls nur gut tun.
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