U6 Essverbot

Michaela Reisel

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Von Peter Dobcak

Viel hat die Menschheit im Namen der „Freiheit“ erreicht. Sei es auf dem Schlachtfeld oder, viel nachhaltiger, auf den Foren der Antike oder in den Gerichtssälen der Neuzeit.

In Europa geht es in unseren Tagen glücklicherweise meist um individuelle Freiheit, erkämpft vorwiegend in den Gerichtssälen, friedlich bei Demos oder weniger friedlich in den Öffis.

Besonders in den öffentlichen Verkehrsmitteln ist der Umgang der Fahrgäste miteinander ein gutes Beispiel für eine weitere Veränderung während der letzten drei Jahrzehnte. Anfang der 80er begann sich, und ich sage das plakativ, aus dem bekannten heliozentrischen Weltbild ein egozentrisches zu entwickeln. Alles dreht sich nur mehr um das Individuum und seine Rechte. Denn das, was viele von uns leider heute unter Freiheit verstehen, ist das Ausnutzen der persönlichen Rechte bis weit über das vernünftige Maß hinaus. Rücksicht, gar Achtsamkeit im Umgang mit den Mitmenschen, vielleicht sogar begleitet von Verzicht, sind ein seltenes Gut geworden. Die zweite oder inzwischen dritte Generation an Nachkommen von Eltern, die selbst als Kinder nie Grenzen und Regeln, geschweige denn Umgangsformen kennengelernt haben, kommen oft gar nicht auf die Idee, dass ihr Verhalten das Umfeld stören könnte.

Das Essen und Trinken in öffentlichen Verkehrsmitteln sowie in den Stationen gehört für mich genau in diese Kategorie. Völlig egal, ob der Geruch die mitfahrenden Menschen stört, oder das verschmutzte Einpackpapier zwischen die Sitze gestopft wird, es ist nicht verboten, daher wird es gemacht. Schon interessant, wie wir uns über die Verbotsgesellschaft aufregen, aber für die kleinsten Dinge des Lebens genau jene Vorschriften und Verbote brauchen um ein verträgliches Auskommen miteinander zu ermöglichen. Neben der Schule muss scheinbar auch der Gesetzgeber jene erzieherischen Aufgaben übernehmen, die früher im funktionierenden Familienverband erledigt wurden. In seinem Kontrollwahn macht er das nur zu gerne.

Es ist allerdings auch ein typisches Zeichen unserer Zeit, die Dinge immer rascher und hektischer zu erledigen. Es kann mir niemand erzählen, dass das Essen in der U-Bahn ein Genusserlebnis darstellt. Es ist Nahrungsaufnahme zum Zweck der Beseitigung von Hunger. Dabei sagt uns jeder Arzt, dass Ruhe und Zeit beim Essen für die Gesundheit sehr wichtig sind.

Nützen wir die wunderbaren gastronomischen Angebote dieser Stadt, nehmen wir uns ein wenig mehr Zeit für die zweitschönste Sache der Welt und denken daran: „Meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“.

 

Euer

Peter Dobcak