Kulinarischer Grätzelspaziergang: Seestadt

Ina Dieringer

(c) Luiza Puiu Wien 3420 aspern Development AG

Die Seestadt Aspern ist Wiens ambitioniertestes Stadtentwicklungsprojekt – und fühlt sich dennoch überraschend unaufgeregt an. Zwischen Baukränen, klaren Linien und dem zentralen See entsteht kein weiteres gesichtsloses Neubauviertel, sondern ein urbanes Versprechen mit Haltung. Wohnen, Arbeiten, Lernen, Erholen – hier wird nicht getrennt, sondern verknüpft. Die Architektur folgt dem Prinzip der Durchmischung, das Stadtbild wirkt jung, durchlässig und offen für neue Lebensentwürfe. Es ist ein Ort im Werden, und genau das ist seine Stärke.

Denn was anderswo als „noch nicht fertig“ als Mangel gilt, wird hier zum Impuls. Die Seestadt lebt vom Prozess. Man merkt das besonders in der Gastronomie: Wer hier isst, begegnet keiner abgezirkelten Gastro-Routine, sondern einem ehrlichen Suchen. Zwischen regionalen Neuinterpretationen, integrativen Food-Projekten und mutiger Quartiersküche wird nicht auf Altbewährtes gekocht, sondern auf das, was möglich ist.

Die Seestadt ist wie ein urbaner Rohdiamant – rau an den Rändern, mutig in der Mitte, voller Ideen. Das spiegelt sich auch auf dem Teller: Keine festgefahrenen Konzepte, keine eingefahrene Dramaturgie. Stattdessen: Orte, die sich noch finden, Menschen, die ausprobieren, Küchen, die nicht perfekt sein wollen, sondern echt. Gerade darin liegt ihr Reiz.

Während andere Grätzel auf Geschichte setzen, setzt die Seestadt auf Gegenwart mit Zukunft. Ihre Gastronomie zeigt das exemplarisch: Sie ist jung, manchmal holprig, oft überraschend gut – und vor allem eines: unverstellt. Hier sucht niemand nach der „besten“ Version eines Gerichts. Aber wer offen is(s)t, findet dafür immer wieder eine neue.

PingPong

Simone-de-Beauvoir-Platz 7, 1220 Wien
©Sunny Technology GmbH

PingPong heißt Bewegung, Wechselspiel, Rhythmus. Und genau das spiegelt sich in der Küche wider. Asiatisch inspirierte Aromen treffen auf mediterrane Frische, österreichische Klassiker bekommen ein Update ohne ironische Distanz. Auf der Karte: cremiges Zitronenrisotto, Bowls mit eingelegtem Gemüse, Linsensalat mit Granatapfel und Minze – ein Gericht, das schmeckt wie Spätsommer auf einem sonnigen Balkon.

Am späten Nachmittag füllen sich die Tische mit After-Work-Runden, abends mit Freund:innen, die sich hier treffen, bevor sie sich auf den Heimweg durch die weiten Gassen der Seestadt machen. Das PingPong ist kein Ort, der laut ruft – eher einer, der bleibt. Der sich nicht anbiedert, sondern einlädt. Und der, wie die Seestadt selbst, am besten funktioniert, wenn man sich Zeit nimmt.

Portobello

Maria-Tusch-Straße 14, 1220 Wien

im Portobello fühlt man sich sofort angekommen. Vielleicht liegt’s am Duft von Pizza aus dem Steinofen. Vielleicht am ersten Schluck Primitivo auf der Zunge. Vielleicht auch einfach daran, dass hier Gastfreundschaft keine Attitüde, sondern Familienangelegenheit ist.

Geführt von der Familie Novak, getragen von viel Herzblut, schafft das Portobello den Spagat zwischen klassischer Trattoria und stilvoller Moderne. Drinnen klar strukturiert, mit warmem Holz, Mosaikdetails und einer Prise London-Charme – draußen ein großzügiger Schanigarten, der sich in den Platz hinauslehnt, als würde er sagen: „Setz dich. Schau ein bisserl zu.“ Und man bleibt. Weil es sich anfühlt wie Urlaub, ohne dass man dafür die Stadt verlassen müsste.

Die Karte reicht von traditionell bis mutig: Pasta alle Vongole, zartes Ossobuco, knusprige Pizza mit Fior di Latte. Aber auch: BBQ-Chicken-Varianten, Couscous mit mariniertem Oktopus, Wraps mit Guacamole. Italienisch, ja – aber mit neugieriger Handschrift und einem Hauch von Fusion. Das Ergebnis: mediterrane Leichtigkeit, ohne Klischee. Geschmack, der nicht nach touristischem Italien klingt, sondern nach echtem Appetit.

Das Portobello ist ein Ort für lange Abende, für Gespräche, die erst mit dem zweiten Glas richtig beginnen. Für Familienfeste genauso wie für spontane Dates. Für Menschen, die gutes Essen lieben, aber keine Show brauchen. Hier wird gekocht, serviert und gegessen mit dem, was man in der Seestadt am meisten spürt: Lust auf Neues – mit Bodenhaftung.

See22

Hannah-Arendt-Platz 1, 1220 Wien
(c) See22

Ein Ort, an dem man sich trifft – zum Frühstück, auf einen Kaffee, fürs Mittagessen oder abends auf ein Glas Wein. Café, Bar und Restaurant in einem, mit einer Speisekarte, die vielseitig, aber nicht beliebig ist: frische Pasta, Bowls, Burger, aber auch Mehlspeisen und Frühstücksklassiker, die man gern immer wieder bestellt. Das Publikum ist so durchmischt wie die Seestadt selbst – von jungen Familien bis zu Studierenden oder Nachbar:innen auf einen schnellen Kaffee.

Speiseamt

Sonnenallee 31, 1220 Wien

Ein Ort, der zeigt, dass gutes Essen mehr sein kann als Genuss: Im Speiseamt trifft soziale Verantwortung auf ehrliche Küche. Als Selbstbedienungslokal mit täglich frisch gekochten, wechselnden Gerichten ist es fester Bestandteil der Seestadt – unprätentiös, verlässlich und mit klarer Haltung. Betrieben wird es von Wien Work, einem sozialwirtschaftlichen Unternehmen.

Die Küche ist bodenständig, ohne langweilig zu sein – klassische Hausmannskost, vegetarische Optionen, saisonal abgestimmt. Auf dem Tablett landet, was gut tut und satt macht, ohne viel Aufhebens. Das Ambiente ist reduziert, freundlich, fast schon still – aber genau darin liegt seine Stärke. Kein Ort für Inszenierung, sondern für ehrliche Mittagspausen, gemeinsames Essen, kurze Gespräche am Rand.

Das Speiseamt ist einer dieser Orte, die man gern weiterempfiehlt – nicht, weil er laut sein will, sondern weil er etwas richtig macht. Hier wird gezeigt, wie Gastronomie auch funktionieren kann: inklusiv, bewusst, mit einem Blick über den Tellerrand hinaus.

Die Seestadt denkt Stadt anders – und mit ihr wächst auch eine Gastronomieszene, die sich nicht auf Altbewährtes verlässt. Hier wird gekocht, was gerade passt. Nicht, was gefallen muss. Zwischen Bauzäunen und fertigen Plätzen entstehen Orte, die nicht perfekt sein wollen, sondern lebendig. Die sich verändern dürfen, mit der Nachbarschaft, mit den Jahreszeiten, mit den Menschen, die kommen und bleiben.

Die Kulinarik folgt hier keinem Masterplan. Sie ist Teil des Prozesses. Mal experimentell, mal klassisch, mal ganz reduziert. Aber fast immer mit Haltung. Wer hier isst, merkt: Es geht nicht um den großen Effekt. Es geht um echtes Essen, das Raum lässt – für Ideen, für Gespräche, für neue Gewohnheiten in einem Viertel, das gerade erst beginnt, sich selbst zu definieren.