Am nördlichen Rand Wiens, dort, wo sich die letzten Ausläufer der Stadt langsam in Reben und Hänge auflösen, liegt Nussdorf. Das Viertel zwischen Heiligenstadt, Donau und Nussberg ist Teil des 19. Bezirks – und hat sich doch eine eigenwillige Eigenständigkeit bewahrt. Wer mit der D-Tram hier landet, steigt aus dem Stadtmodus aus. Der Lärm verblasst, das Tempo verlangsamt sich. Kopfsteinpflaster ersetzt Asphalt, Weinlaub rankt sich über Hoftore, und irgendwo zirpt es immer aus einem Fensterladen. Nussdorf lebt nicht vom Spektakel, sondern vom beständigen Detail. Von den Häusern, die Geschichten erzählen. Von der Luft, die nach Erde und Trauben riecht. Und vom Essen – vor allem vom Essen.
In Nussdorf zählt beim Essen das Wesentliche. Hier geht es nicht um Show, sondern um ehrliches Handwerk. Die Lokale bewegen sich mühelos zwischen Wirtshaus, Heuriger und feinem Gasthaus – und überzeugen mit souveräner Handschrift. Wer hierherkommt, muss bereit sein, sich auf ein anderes Tempo einzulassen. Auf ein Wien, das sich nicht jeden Tag neu erfindet, sondern lieber das pflegt, was es schon hat: Handwerk, Haltung und eine gewisse Nonchalance im besten Sinne. Das Grätzel funktioniert nicht nach dem Prinzip „Wow-Effekt“, sondern eher wie ein gut gereiftes Schmankerl: Es erschließt sich langsam, bleibt dafür umso länger hängen. Die Lokale – ob Heuriger, Gasthaus oder feines Traditionslokal – kochen nicht mit modischen Begriffen, sondern mit Überzeugung.
Was alle verbindet: eine tief verwurzelte Liebe zum Echten. Kein überinszenierter Purismus, sondern ein Selbstverständnis, das einfach sagt: So machen wir das hier. So schmeckt’s uns. In einer Stadt, die sich oft zwischen globalem Anspruch und kulinarischer Beliebigkeit verliert, ist Nussdorf fast schon ein Ankerpunkt. Ein Ort, an dem man sich erinnert, was gutes Essen sein kann: nicht nur Genuss, sondern auch ein Stück Zugehörigkeit. Ein Ort, an dem man bleibt, obwohl man eigentlich nur auf ein Glas gekommen ist.
Schübel-Auer
Kahlenberger Straße 22, 1190 Wien
Der Schübel-Auer ist eine Konstante. Und das ist gut so. In einem Viertel, das sich dem Drang zur Selbstinszenierung entzieht, liegt dieses Lokal wie ein stiller Mittelpunkt – vertraut, unaufgeregt, stilsicher. Man tritt durch das Tor in den Hofgarten, vorbei an einem alten Mauerbogen, unter dem sich Kastanienblätter sanft im Wind bewegen. Es ist dieser Ort, an dem man sofort anders atmet. Wo das Summen der Stadt nur noch ein fernes Echo ist und stattdessen das Rascheln der Blätter, das leise Klirren von Gläsern und der Duft nach Gebratenem die Szene bestimmen.
Innen gediegen, draußen unter freiem Himmel – der Schübel-Auer bleibt dem treu, was hier oben in Nussdorf schon immer zählte: ehrliches Essen, guter Wein, kein Firlefanz. Krautfleckerl mit dem richtigen Schmelz, knuspriger Kümmelbraten, feines Surschnitzel – serviert mit einer Selbstverständlichkeit, die keine Erklärungen braucht. Dazu ein glasweiser Grüner Veltliner, der wenige hundert Meter weiter auf den Hängen des Nussbergs gewachsen ist – man sieht ihn fast, wenn man den Blick über die Gartenmauer hebt. Der Weinberg als Nachbar, die Donau irgendwo hinter den Gassen, das Licht weich und träge wie ein Sonntagnachmittag.
Wer hier sitzt, bleibt länger als geplant. Vielleicht, weil die Luft nach Sommer riecht. Vielleicht, weil Nussdorf einem leise zeigt, wie leicht Wien sein kann, wenn es aufhört, gefallen zu wollen.
Mayer am Pfarrplatz
Pfarrplatz 2, 1190 Wien
Ein Ort, der Geschichte atmet – und nicht nur, weil Ludwig van Beethoven hier einst komponierte. Im Mayer am Pfarrplatz verdichtet sich Nussdorf auf die charmanteste Weise: ein bisschen verwinkelt, ein bisschen aus der Zeit gefallen, ganz bei sich. Der Innenhof – gepflastert, von Weinlaub umrankt – ist ein wienerischer Sehnsuchtsort, wie man ihn heute nur noch selten findet. Schiefe Holzstühle, Tische mit Kerzenwachsresten, drinnen ein Buffet, das wie ein kulinarisches Familienalbum wirkt.
Hier zapft man den Wein direkt aus dem Fass, der Duft von Kümmel, Paprika und Knoblauch zieht aus der Küche. Auf dem Teller: Fiakergulasch, das wärmt wie ein guter Satz; Alt-Wiener Erdäpfelgulasch, das nach Sonntagen schmeckt. Für alle, die lieber teilen, gibt’s Brettljausen mit würzigem Liptauer, mürbem Kümmelbraten und einem Käsesortiment, das mit jedem Achterl mutiger wird.
Und während draußen der Wind durch die Reben streicht und drinnen das Holz knarzt, spürt man, dass dieser Platz mehr ist als nur ein Lokal. Er ist Erinnerung, Gegenwart und Einladung zugleich. Ein Ort, an dem man bleibt – nicht, weil man muss, sondern weil man gar nicht anders kann.
Wieninger am Nussberg
Am Nussberg (nur zu Fuß erreichbar), 1190 Wien
Der Weg schlängelt sich durch die Weingärten, vorbei an duftenden Sträuchern und stillen Rebstöcken, begleitet vom Zirpen der Grillen und dem langsamen Atmen der Stadt weit unten. Oben angekommen, öffnet sich die Landschaft – und mit ihr ein Ort, der fast zu einfach ist, um wahr zu sein: der Wieninger-Heurige am Nussberg. Ein paar Bankerl, verstreute Picknickdecken, Brot, Käse, Wein. Mehr braucht es nicht. Mehr gibt es auch nicht.
Kein Strom, keine Musik, kein Service im klassischen Sinn. Was hier zählt, ist das Zusammenspiel aus Panorama und Produkt. Die Weite des Blicks über Wien, der Duft von frischem Roggenbrot, ein Glas Gemischter Satz in der Hand. Ziegenkäse mit Olivenöl, eingelegte Paradeiser, Speck, der nach Wald schmeckt – alles kommt aus der Region, alles schmeckt wie das Gegenteil von Convenience.
Es ist dieser Ort, an dem sich Nussdorf endgültig auflöst – in Hänge, Reben, Himmel. Und während die Sonne langsam über der Stadt versinkt und das letzte Licht in den Gläsern flackert, versteht man, warum manche Momente nur dann echt sind, wenn man sie nicht plant.
Plachutta
Heiligenstädter Straße 170, 1190 Wien
In einem historischen Gebäude an der Heiligenstädter Straße gelegen, erzählt schon die Fassade von der langen Geschichte Wiens, die sich hier nicht museal, sondern lebendig anfühlt. Drinnen dominiert Eleganz ohne Eitelkeit. Und draußen, im begrünten Innenhof, scheint die Sonne ein wenig weicher, als würde auch sie den Tafelspitz nicht stören wollen.
Man kommt her, um Klassiker zu essen – und zwar genau so, wie sie sein sollen. Tafelspitz, der in silbernen Töpfen dampft, zartes Wiener Schnitzel, das knusprig auf der Gabel zittert, Erdäpfelsalat, der vor lauter Ausgewogenheit fast meditativ wirkt. Keine Spielereien, keine Umdeutungen – dafür kompromisslose Qualität, die seit Jahrzehnten unverändert bleibt.
Plachutta Nussdorf ist kein Ort für Entdeckungen, sondern für Wiederentdeckungen. Für Erinnerungen an das, was Wiener Küche im besten Sinn bedeutet: Reduktion auf das Wesentliche, mit einer Präzision, die man schmeckt. Ein Treffpunkt für Menschen aus der Umgebung, für Familien, für Stammgäste, für alle, die wissen, dass gutes Essen nicht schreien muss, um gehört zu werden.
Pfarrwirt
Pfarrplatz 5, 1190 Wien
Wer den Pfarrwirt betritt, tritt durch Zeit. Das älteste Wirtshaus Wiens – erstmals erwähnt im Jahr 1180 – steht mitten in Nussdorf, als hätte es die Jahrhunderte einfach vorbeiziehen lassen. Und doch wirkt hier nichts alt. Zwischen Steinportalen aus dem 14. Jahrhundert, verwunschenem Gastgarten und sorgfältig restaurierten Räumen pulsiert das Leben. Die Geschichte ist spürbar, aber nie aufdringlich – sie sitzt mit am Tisch, statt in der Vitrine zu verstauben.
Hier trifft rustikale Würde auf feine Kulinarik. Der Frühling findet seinen Weg auf Teller und in Gläser: zartes Kalbsbeuschel, frische Bärlauchnockerl, ein Glas Riesling aus dem hauseigenen Weingut, das sich nicht versteckt, sondern mit Selbstverständnis glänzt. Die Weine sind prämiert, die Küche klassisch, aber nicht starr – immer wieder schleicht sich ein Hauch Besonderes ein, ohne das Fundament zu verraten.
Nussdorf ist kein Ort, den man abhakt. Es ist ein Ort, der bleibt. In den Gerüchen, im Gespräch, im Geschmack. Wer sich auf diesen kulinarischen Grätzelspaziergang einlässt, merkt schnell: Hier oben ticken die Uhren anders. Nicht langsamer im Sinne von verschlafen, sondern bewusster. Die Häuser erzählen, das Essen verankert, der Wein verbindet.
Zwischen Reben und Respekt vor dem Handwerk, zwischen Gulasch und Gemischtem Satz, wird klar: Wien kann sehr laut sein – aber in Nussdorf hört man wieder hin. Und vielleicht bleibt man am Ende doch ein Achterl länger, als man vorhatte. Nur so. Weil’s passt.