Von der ehrlichen Gans beim Seidl

Andrea Wieger

Kapitel Wiener Wirtshauskultur. Franz Seidl ist einer der bekanntesten Wiener Wirte und betreibt sein Gasthaus im dritten Bezirk seit mittlerweile 20 Jahren. Ende der 60er Jahre und Anfang der 70er Jahre hat er im Hotel Sacher gelernt, „doch dann war ich einmal zu frech“ gibt er zu. Ein Buffet auf der Mariahilferstraße hat er auch mal geleitet. Doch das Gasthaus in der Ungargasse, das kann der Wirt getrost als sein Lebenswerk bezeichnen. Seidl, der unter anderem durch seine große Auswahl an Weinen und Edelbränden bekannt wurde, ist auch als Lehrabschlussprüfer für angehende Kellner tätig, ist aber auch bei diesem Thema schonungslos ehrlich: „Die Wirtshäuser sterben aus, weil von den Jungen keiner mehr ins Gastgewerbe will! Einen g´scheiten Koch kriegst ja heutzutag´ kaum mehr!“ gibt er sich erschüttert über die Arbeitsmarktsituation in der Branche. Nun ja, unrecht hat er wohl nicht, der „Patron“, der ursprünglich aus Favoriten stammt und dort noch immer seine Fangemeinde im Gemeindebau hat. Weil er eben kein Blatt vor den Mund nimmt und immer aufrichtig sagt, was er sich denkt. So brutal das auch sein mag, geschätzt wird´s allemal.

Das Gasthaus ist authentisch eingerichtet, mit dunklem Holz an Wänden und Decke, vielen Weinflaschen an den Fensterbänken und einer wirtshaustypischen Schank. Schön urig halt. Des Öfteren hört man aus der Küche, wenn gerade ein Schnitzel flachgeklopft wird. Und wenn der Laden voll ist, kann´s auch schon mal lauter werden. Und gemäß dem selbstbewussten Chef ist der Laden recht oft voll. „Unter der Woche, heut an einem Montag Abend zum Beispiel, simma ausreserviert! Wo gibt´s denn das sonst noch?“ Sehr viele Stammgäste kommen regelmäßig ins Gasthaus. Und mittags viele Büroleute aus der Umgebung. „Wegen unseren guten Mittagsmenüs. Zwei Gänge um acht Euro.“ so Franz Seidl.

Die guten Mittagsmenüs werden seit ungefähr einem Jahr vom Küchenchef Philip Barosch gekocht. Der hochgeschätzte Mann, ein Oberösterreicher, der bereits die Selbstständigkeit hinter sich hat, will bei Seidl „lässige Wiener Küche“ kochen. Bei all dem, was ich gesehen und gegessen habe, kann ich getrost schreiben: das schafft er auch recht gut. Zwar liegt das Hauptaugenmerk des Wirtshauses schon noch auf Schnitzel und fleischigen Klassikern (das wird auch so bleiben, denn vegetarische Gerichte sind hier einfach nicht gefragt), doch Barosch bringt mit seinen interessanten Kreationen frischen Wind ins Haus.

Meine beiden Mit-Esser (Danke an dieser Stelle an Karin und Markus!) und ich beginnen mit einer Vorspeisenrunde: Beef Tartar, das sich von der schärferen Seite präsentiert, ist eher grob faschiert und sehr gut mariniert. Der Wildkräutersalat mit Eierschwammerl und eingelegtem Kürbis, der dank Zimt leicht süßlich schmeckt. Ein bisschen weniger Marinade hätt´s auch getan, aber das tunken wir genüsslich mit dem köstlichen Brot (aus der Dampfbäckerei Öfferl in Niederösterreich) auf. Und noch Hirschcarpaccio, das mit vielen marinierten Kirschen, rosa Pfeffer und Kleeblättern daherkommt. Das nenn ich mal richtig zartes Fleisch.

Beef Tartar mit Chili-Mayonnaise

Nächster Gang, den wir uns wieder brüderlich teilen: die extrem cremige Kürbis-Curry-Suppe, die dank Neapel-Kürbis sehr nussig schmeckte. Und die Gansleinmachsuppe mit Innereien, Äpfel, Erbsen, Karottenjulienne und Schnittlauch: auch wenn ich´s immer wieder mal probiere … ich werd´ einfach kein Fan von Innereien, aber das macht nix. Voll gefüllt ging der Teller trotzdem nicht zurück in die Küche, denn immerhin den anderen beiden schmeckt´ s wunderbar. Ich löffelte dafür mehr von der einzig vegetarischen Option, die bei Seidl´ s auf den Tisch kommt: Curry-Kürbis-Linsen mit Zitronen-Topfen-Nockerl. Was diesen Nockerln an Geschmack fehlte, konnten die recht würzigen Linsen wieder gut machen. Pipifein!

Und jetzt kommt das, wofür der Seidl auch noch sehr bekannt ist: das Gansl. Eine Portion zu dritt, sonst hätten wir aufgrund von Bewegungsunfähigkeit dort übernachten müssen. Auch hier muss ich zugeben: obwohl ich keine Martinigansl-Liebhaberin bin, gut war´s schon, und zwar ordentlich. Knusprige Haut, zartes Fleisch, Apfelmus im Rotkraut und ein herrlicher Erdäpfelknödel (ich weigere mich Kartoffel zu schreiben, am liebsten würd ich ja Grundbirn verwenden). Übrigens sind die Seidls – Vater Franz und Sohn Thomas, der zukünftige Hausherr –  bekannt dafür, bei der Gansl-Saison immer die Ersten zu sein. „Manche Leut´ sagen sogar wir sind verrückt, weil wir schon Mitte September Gansl servieren. Aber die Gäste warten jedes Jahr schon drauf!“ so der Senior-Chef, der – eh klar – auch hier wieder keine Lügen auftischt: „Aus Ungarn sind die Gansln, dort gibt´ s die Besten. Natürlich könnt ich sagen, dass sie bio und aus der Region sind, stimmt aber nicht.“

Seidl-Gansl mit Rotkraut, Knödel & Apfelspalten

Zum Abschluss dann noch was Süßes: Malakovknödel mit Kardamom und Rum, nicht schlecht aber bisschen zu zitronig für meinen Geschmack. Dafür diese Wahnsinnsdinger von Topfenknödel – luftig, fluffig, topfig, einfach perfekt und nicht der einzige Grund um wieder zu kommen: Wein, der nächste Faktor für den hohen Bekanntheitsgrad dieses Lokals. Franz Seidl gibt zwar an, nicht sonderlich viel Ahnung von edlen Tropfen zu haben, dafür aber der beste Verkäufer überhaupt zu sein. Vor einiger Zeit hat er sein enormes Repertoire an verschiedenen Weinen etwas verkleinert, weil die Stammgäste meistens eh nur das bestellen was ihnen empfohlen wird. Das wär zum Beispiel sein Lieblingstropfen, der (für einen Veltliner wirklich) spritzig-fruchtige Grüne Veltliner vom Hagen Filius, den wir gleich kosten sollten. Ja, hat mich tatsächlich überzeugt. Bisserl Ahnung davon hat er ja eh, der Wirt, der übrigens keine Weine aus der Steiermark und der Wachau verkaufen will. „Die schmecken mir nicht.“ Auch gut.

Jetzt noch kurz zu den Veranstaltungen im Ungargassen-Lokal: jeden Monat werden sogenannte „Weinmenüs“ aufgetischt: Fünf Gänge mit unlimitierter Weinbegleitung und anwesendem Winzer um echt günstige 69 Euro. Und seit kurzer Zeit finden auch regelmäßig „Single-Dinner“ statt, die in Kooperation mit den Wiener Wunderweibern entstanden sind und wo neben Schnitzel, Gansl und Co wild geflirtet werden darf.

Mein bzw. unser Fazit:

Schon allein wegen dem Spirit, der in diesem Hause „fließt“, ist ein Besuch im Wirtshaus Seidl sehr zu empfehlen. Ein interessantes Trio ist das: der überraschend ehrliche und sehr erfahrene Franz, der junge motivierte Sohn Thomas (… weil „mei Bua is a Ausnahme“ sagt der Papa) und der Chef am Herd Philipp Barosch, der die Wiener Wirtshausküche zwar ein bisserl modern aufpeppt, aber an Traditionellem doch noch genug festhält. Und das Essen? Klassisch, wienerisch und sehr gut. Punkt.

 

Gasthaus Seidl

Ungargasse 63

1030 Wien

Tel. 01/713 17 81

www.gasthaus-seidl.at

Geöffnet: Montag bis Freitag 11:00 – 14:00 & 18:00 – 22:00

Samstag, Sonntag und Feiertag geschlossen