Seit das Restaurant Aï im Goldenen Quartier als Nachbar von Luxuslabels wie Armani oder Valentino im Herbst letztes Jahr eröffnete, wurde zahlreich darüber berichtet. Nicht nur Gutes, wohlgemerkt. Zuletzt machte der Abgang von Küchenchef Sören Herzig Schlagzeilen. Die Seite des Restaurants blieb dabei weitestgehend unbeachtet. Wie isst es sich heute im Aï? Wie ist das Gesamterlebnis – Stimmung, Atmosphäre und natürlich Essen? Ich war neugierig und schaute mal hin.
Ich buche einen Tisch für Zwei zum Dinner, wochentags um 18 Uhr. Als wir eintreffen, ist noch nicht viel los, was aber verständlich ist, da die Küchen für den Abendbetrieb erst um 18 Uhr öffnen. Fast wie aus einem Aquarium schaut man durch die bodenlangen, breiten Fenster auf abendliche Innenstadtgassen. Schick sieht es ja schon aus, das Aï, mit dem auf zwei Ebenen und mehr als 800 Quadratmetern durchgezogenen Design aus Kupfer, Leder und Marmor.
Aber so, wie das Wiener Restaurant gestaltet ist, sollen künftige Aï-Niederlassungen, die weltweit (mit Fokus auf Europa) folgen sollen, nicht aussehen. Jedes Restaurant der Marke soll seine ganz eigene Handschrift bekommen. Ende 2018 öffnet ein neues Aï in einer weiteren internationalen Stadt seine Pforten.
Das Aï ist ja das erste Restaurant der neuerschaffenen Marke der Kamp Catering Company, die ihren Sitz im Libanon hat. Chef de Cuisine der gesamten Gruppe und damit auch für die drei Küchen des Hauses in der Seitzergasse verantwortlich ist der gebürtige Neuseeländer Samuel Wilkes, seit Juni 2017 im Unternehmen beschäftigt. Was dem Management wichtig ist zu betonen: der Fokus von Aï soll nicht auf einer einzelnen Person liegen, auf Grund derer man ins Restaurant zum Essen kommt, wie ja, vor allem in der Spitzengastronomie, Usus. Das Wichtigste ist und soll immer die Marke Aï selbst sein.
Man habe nun erkannt, dass gut geschultes Personal das A und O ist. Die Idealvorstellung sehe daher heute so aus, dass der Gast beinahe die Rolle eines Freundes einnimmt, der die Speisekarte gar nicht mehr zur Hand nimmt, sondern sich auf Empfehlungen des Servicepersonals verlässt. Man gibt an, was man in etwa (nicht) haben möchte, wie groß der Hunger ist und die Mitarbeiter geben Vorschläge aus dem Menü. Das wollen wir testen und lassen uns überraschen. Unsere Vorgabe: Der Hunger ist groß, Abneigungen liegen nicht vor. Dann kann es ja losgehen.
Wagyu Rind und „Big in Japan“
Unser Tisch ist im ersten Stock, mit Blick auf die langgezogene Bar. Meine Begleitung und ich stoßen erst einmal mit einem Cocktail – die Namen sind von Filmen der 70er und 80er Jahre inspiriert – an. Ich entscheide mich für „Big in Japan“: Diplomatico Reserva Exclusiva Rum, Tamarinde, Tonkabohne, Gold, auf dem Rand des Glases thront ein Blickfang in Form einer Heuschrecke. Schmeckt, aber stark. Mein Gegenüber: „Memories of a Geisha“: Tanqueray Nr. Ten Gin, Amarena, Zwetschken, Sherry, Champagner.
Das Aï beschreibt seine Küchenlinie als innovative, asiatische Küche. Eine einzelne Landesküche wird dabei nicht in den Fokus gerückt. Die Gerichte sind von den Ländern des Kontinents inspiriert, von Geschmäckern und Gewürzen desselben. Man möchte zurück zur japanischen Philosophie, frischeste, saisonale Zutaten zu verwenden. Das impliziere, auch mit zahlreichen österreichischen Produkten zu arbeiten. In Sushi- und Sashimi-Variationen werden die üblichen Salzwasserfische gerne mit heimischen Süßwasser-Alternativen ersetzt. Das Fleisch bezieht man von Höllerschmid, wie ich auf Nachfragen erfahre.
Die Misosuppe, mit der wir beginnen, ist ein Beispiel für einen Starter, der die Brücke zwischen der Kulinarik Asiens unter Verwendung lokaler Produkte schlägt.
Serviert wird die Misosuppe in kleinen Schälchen, aus denen sie geschlürft (und nicht gelöffelt) wird. Neben Sojabohnen fungiert als Einlage Speck (für den wir dann doch den Löffel benutzen). Herrn Ortners Speck, wie die Kellnerin, die ich eingangs nach der Herkunft des Fleisches gefragt habe, präzisiert. Erst schmeckt man ihn nicht, am Boden finden sich die kleinen Fleischwürfel als würzig-g‘schmackige Überraschung. Gefällt mir!
Um einen umfangreicheren Eindruck der Speisen zu bekommen, werden die weiteren Gerichte des Abends gemäß dem Sharing-Konzept in die Mitte des Tisches serviert. Denn trotz exklusiver Lage mitten im ersten Bezirk sei es nicht Fine Dining, was man serviert. Das sei oft missinterpretiert worden.
Meine Favoriten der kleinen Gerichte: Die kleine Variante eines Römersalats mit angebratenem Rinderfilet, Gurke, Bohnensprossen, Avocado und würzigem Zitrusdressing. Ein paar enthäutete, sehr saftige Cocktailparadeiser schmecken fruchtig und wirklich gut und kommen kombiniert mit Algen, Ingwer und Shiso (vegan, wenn für wen wichtig). Würde ich mir wieder bestellen: Tataki vom Alpenrind mit Curry Wafu und knusprigem Reis.
Wer Sashimi und Nigiri bevorzugt, findet sie mit Seesaibling, Lachsforelle oder Blauflossenthunfisch. Maki gibt’s mit krosser Jakobsmuschel und Kaviar, in anderer Variante mit doppelt geräuchertem Speck, Kürbis, Kimizu-Sauce. Kombis, die ich stimmig finde, die mit Speck fast noch mehr.
Auf die Gerichte abgestimmt wird Sake beziehungsweise Wein serviert. Anders als hierzulande aus diversen asiatischen Lokalen bekannt, wird Sake zu einem hohen Prozentsatz richtigerweise nicht warm, sondern gut gekühlt serviert. Der Schliff des Reiskorns bestimmt über milden oder kräftigeren Geschmack. Wir können uns bei folgendem Sake einen Eindruck der Vielfalt an asiatischen Tropfen überzeugen: Rihakiu wandering Poet, Bijofu Honjozo, Dassai, Amabuki „Blood Orange Apollon“ und Amabuki rose.
Ein Highlight des Abends ist das edle Wagyu Rind vom Robata Grill, dem japanischen Holzofengrill. Das Fleisch ist zart und saftig und auf den Punkt. Der gebrannte Lauch als Beilage sorgt neben Röstaromen mit Miso, Senf und schwarzer Trüffel für ganz viel Aroma. Mit 79 € ist das Fleisch vom Wagyu Rind das teuerste Gericht der Karte, aber seinen Preis auf alle Fälle wert. Gönnt man sich ja nicht jeden Tag. Der sardische Rotwein dazu gibt mir die Bestätigung, so interessant die Erfahrung Sake als Speisenbegleitung ist, so gern mag ich doch guten Wein zum Essen.
Neben Espresso (super!) teilen wir uns abschließend Nachspeisen. Ein Sorbet in wunderbar kräftigem Grün ist sehr erfrischend und nicht zu süß. Genau das Richtige nach ganz viel Essen. Gebratene Ananas überzeugt mich nicht, aber der Hammer sind die Milchkaramellknödelchen mit einem Dip aus Apfelmus und Vanillesauce. Wenn man ins Aï geht, die kleinen, süßen Nachspeisknödel unbedingt essen (auch wenn nix mehr reinpasst).
Fazit: Wir waren an einem Mittwoch im Aï. Je später der Abend, desto mehr füllte sich das Lokal. Rund um uns waren ab 19:30/20 Uhr tatsächlich alle Tische besetzt. Die Gäste schätzungsweise von 30 bis 65, zwischendrin ein paar wenige Familien mit Nachwuchs im Teenageralter, hauptsächlich aber Geschäftsleute und älteres Publikum mit sicherlich dickerer Geldbörse. Aber wenn man nicht grad das Wagyu Rind ordert (obwohl sich’s auszahlt), kann man einen netten Abend im Aï verbringen, sich mit Freunden oder dem Partner ein paar Gerichte teilen und eine gute Zeit haben.
Das bringt der Frühling im Aï
Wenn die Temperaturen es zulassen, bespielt das Aï einen Gastgarten mit rund 40 Spitzplätzen in der Seitzergasse. Und um die Vorliebe der Wiener von gemütlichem Brunchen zu bedienen, soll künftig ebensolcher angeboten werden.
Aï
Seitzergasse, 1010 Wien
Mittag: 12-14 Uhr
Dinner: 18-22 Uhr
Fotos: Michaela Reisel