Das Steirereck. Heinz Reitbauer über die österreichische Gastronomie, Konkurrenz und das Leben

Michaela Reisel

Heinz Reitbauer vom Steirereck (c) Kanizaj Marija

Von Lilian Derndler und Michaela Landbauer – Das Steirereck. Stellen Sie sich vor, Ihnen würde das Top 9 –  Spitzenrestaurant der Welt gehören. Sie wären mit zwei Michelin – Sternen ausgezeichnet worden und beim Falstaff- Ranking hätten Sie 99 von 100 möglichen Punkten errungen.

Wie würden Sie auf diese Erfolge reagieren? Wären Sie am Boden geblieben oder würde Ihnen der Ruhm zu Kopf steigen?

Man kann in den einschlägigen Zeitungen Wiens so ziemlich über jeden Wiener-Spitzengastronomen, sei es erfunden oder nicht, irgendetwas Schlechtes lesen. Nicht aber über den Gastronomen schlechthin: Heinz Reitbauer. Wir wollen wissen, ob dieses Bild der Realität entspricht und nehmen ihn im Exklusiv-Interview genauer unter die Lupe.

Herr Reitbauer besuchte die Hotelfachschule in Altötting und absolvierte eine Lehre im Betrieb seines Vaters. Danach begann er bei Karl und Rudi Obauer in Werfen zu arbeiten.  „Ich war 16 Jahre, als ich dorthin gekommen bin und war der Meinung, ich sei unfassbar gut. Die Gebrüder Obauer haben mich geerdet, sie haben mir Respekt, Leidenschaft, Demut, Härte gegenüber mir selbst beigebracht und vor allem Konsequenz. Das war eine harte Zeit für mich, ich habe mich von einem Tag zum anderen drübergerettet und mir gesagt, ich muss den morgigen Tag noch überleben. Doch ich war überzeugt, wenn ich jetzt aufgebe, würde ich immer aufgeben. Nach einer gewissen Zeit war ich dann ein Teil der Arbeitsfamilie. Wir sind nach wie vor sehr gut befreundet, einer seiner Söhne lernt gerade bei mir“, erzählt uns Reitbauer.

Danach übersiedelte er nach Frankreich zu Alain Chapel. „Das war ein ganz großer Lehrmeister für mich, seine Sturheit und Unbekümmertheit, immer nur alles der Qualität unterzuordnen und hier absolut keine Kompromisse einzugehen werde ich nie vergessen. Es hat mich schwer beeindruckt, mit welcher Leidenschaft er jeden Tag an die Arbeit gegangen ist.“

2005 hat er dann das Steirereck übernommen, in dem er bis heute Chefkoch ist.

Auf unsere Frage hin, warum denn nur ein österreichisches Restaurant unter den Top-Ten der Spitzenrestaurants zu finden ist, antwortet Reitbauer: „Es gibt leider nur wenige Guides, die eine Unterscheidung treffen. Ansonsten werden alle Restaurants in einen Topf geworfen. Das ist schade, denn man kann einfach kein Spitzenrestaurant mit einem gut eingesessenen Gasthof vergleichen, da zählen ja ganz andere Belange und es gibt ganz andere Erwartungshaltungen. Aber es machen nicht ausschließlich die Spitzenlokale die Stadt Wien zu einem kulinarischen Hotspot – natürlich sind sie ein toller Faktor- aber genauso lassen die weniger bekannten Restaurants die Stadt zu so etwas Besonderem werden! Außerdem kann man die klassische nicht mit der modernen Küche vergleichen. Von einer solchen ist man schnell einmal begeistert, denn sie ist ja oft eine absolute Neuheit, die man zum ersten Mal erlebt, während man zur klassischen Küche schon wesentlich mehr Vergleiche vorfindet!“

Doch welches Publikum findet sich denn nun im Steirereck? Wirklich nur die Reichen und Schönen?

„Wir leben von 60 Prozent Stammgästen. Es gibt Leute, die kommen jeden Tag zu uns zum Mittagessen. Wir versuchen die Stammgäste beim Namen zu nennen, denn es ist wahnsinnig toll, solche Gäste zu haben. Es gab Zeiten, in denen wir nur mit Hilfe unserer Stammgäste überleben haben können. Es kommen aber genauso Gäste, die auf dieses Essen bei uns lange gespart haben oder Leute, die einen ganz besonderen Anlass im Steirereck feiern.“

Doch hat das das Steirereck in Wien überhaupt Konkurrenz? „Ja, es gibt tolle Lokale in Wien. Wir versuchen alle mit unglaublich viel Leidenschaft und Herzblut dem Gast etwas ganz Besonderes zu vermitteln.  Und das hat nichts mit Spitzenrestaurants zu tun, es gibt genauso gut Lokale, die ein, zwei Menschen betreiben und die das extrem gut machen. Je mehr Menschen so denken, desto besser ist es für unser Land. Ich freue mich über die aktuelle Entwicklung in der Wiener Gastronomie.“, lächelt Reitbauer.

„Die Entwicklung der österreichischen Kulinarik wird immer mehr in Richtung Autorenküche gehen. Die verschiedenen Restauranttypen versuchen für sich ein ziemlich klares Profil herauszuarbeiten. Es gibt für einen Gast meiner Meinung nach nichts Schlimmeres, als an drei verschiedenen Abenden in verschiedenen Lokalen zu essen und immer wieder Ähnliches zu erfahren. Die Küche muss authentisch sein, das ist das Allerwichtigste. Eine Top-Gastronomie entsteht nicht in einem halben Jahr, es ist ein Zusammenspiel zwischen mehreren Faktoren über einen gewissen Zeitraum. Als junger Mensch läuft man immer wieder in Gefahr, zu viel zu schnell zu wollen. Doch auch uns ist es lieber, voranzukommen und einen Fehler zu machen, als zu lange zu starr zu bleiben.  Das ist der große Vorteil von Menschen, die schon länger in der Gastronomie tätig sind, sie sind nicht so schnell am Berg oben, aber sie haben dafür dann einen umso schöneren Ausblick!“

Was will der Starkoch mit seiner Küchenlinie ausdrücken?

„Es gibt eine Gruppe von Freuden und Köchen. Wir wollen unser Land kulinarisch weiterbringen, wir wollen die Traditionen hochhalten, aber sie auch neu interpretieren. Das große Potential, das Österreich besitzt, ist die klein strukturierte Landwirtschaft, wir haben den größten biologischen Anteil in ganz Europa. Diese Produkte der Landwirtschaft stellen die Basis unserer Gastronomie dar und dessen müssen wir uns auch bewusst sein. Ein Spitzenresteraunt kann man mit Geld und Leidenschaft von ein paar Menschen nicht allzu schwer aufbauen. Eine Gastronomie aber, die in der Bevölkerung verankert ist, die stolz auf ihr Land ist, die ihre kulinarischen Gaben zu schätzen weiß, kann sich nur über Generationen entwickeln. Das ist unser größtes Gut, welches wir beständig pflegen müssen. Daraus kann sich alles andere entwickeln, aber das ist die allerwertvollste Basis. In der österreichischen Gastronomie haben wir ein tolles Wurzelwerk und nicht nur eine PR – gepuschte Blase. Wenn wir im Steirereck es schaffen, Österreich in das schönste Licht zu setzen, dann ist uns alles gelungen. Wir wollen dem Gast die Aussage entlocken: „Ich hab nicht gewusst, dass Österreich so facettenreich sein kann!““

Reitbauer, der ständig nach alten und vergessenen Zutaten sucht, um diese in seine Kreationen einfließen zu lassen, pflegt bereits seit Jahren eine Kooperation mit der Arche Noah. Der im niederösterreichischen Schiltern gelegene Verein setzt sich für die Erhaltung diverser Pflanzen ein. Ein Aspekt, der Reitbauer sehr wichtig ist, schätzt er doch heimische Produkte ganz besonders, besucht sogar Gärtnerseminare, da er versucht, über seinen „Horizont hinauszudenken“.

Der Top-Gastronom bringt selbst einen landwirtschaftlichen Hintergrund mit und erläutert, dass ihm auch der „Respekt vor den Lebensmitteln“ ein zentrales Anliegen sei, zumal er durch seine Kindheit und Jugend im steirischen Oberland hautnah mitbekommen hat, was es heißt, ein Lebensmittel anzupflanzen und wachsen zu sehen. Er sieht dies als „besonderes Erlebnis“ und pflegt deswegen auch den Kontakt zu seinen Lebensmittel-Lieferanten sehr. Mit diesen steht er in regem Austausch und berichtet vom Feedback, das er ihnen gibt und das sie sich auch erwarten, um ihre Produkte auf das höchstmögliche Maß an Qualität zu bringen.

Einmal mehr betont Reitbauer die Zwiespältigkeit von Rankings. „Ohne Führer, ohne Guides wäre die österreichische Gastronomie nicht da, wo sie heute ist“, so Reitbauer, der damit den Wettbewerbscharakter derartiger Listen anspricht, der Motivation sein kann. Aber: „Um etwas zu erreichen, braucht es Talent, Ehrgeiz, aber auch eine Riesenportion“ Glück. Und „ein Umfeld, das es möglich macht“, Leute, die einen unterstützen, außerdem erwähnt er Gesundheit als wichtiges Gut.

Er erklärt, „der größte Vorteil eines derartigen Führers ist, dass er einen neuen Gast in unser Haus bringen kann“, betont aber auch, dass die Menschen heute „mündig genug“ seien, um selbst zu entscheiden, was sie gut finden, wo sie sich wohlfühlen und sich nicht alleine auf Restaurantführer verlassen. Reitbauer gibt aber auch zu bedenken, man könne gastronomische Betriebe nicht alleine auf ihr Aufscheinen und ihre Platzierung in Rankings beschränken. Der Top-Gastronom spricht davon, viele Restaurants zu kennen, die von „hervorragender Qualität“ sind, aber eben nicht so bekannt und führt weiter aus, dass es sicherlich auch viele Häuser gibt, die „ebenbürtig mit dem Steirereck sind“, sein Betrieb etwa den Vorteil genießt, mitten „in einem Ballungsraum“ gelegen zu sein.

Die Frage, wie es möglich sei, trotz des immensen Erfolges auf dem Boden zu bleiben, findet eine klare Beantwortung: „Ich glaube, jeder, der Gastronomie macht, der tagtäglich im Geschäft steht und das mit Herz und Leidenschaft macht, der hat gar keine Chance, abzuheben.“ Reitbauer sieht seinen Beruf als sein Leben und betont das große Glück, mit seiner Frau eine Partnerin an seiner Seite zu haben, die das alles mitmacht, „das ist unser Leben“.

 

Fotocredit: Kanizaj Marija