Bierpapst Conrad Seidl darüber, wie Bier sein Image als Arbeitergetränk ablegen konnte und Einzug in die Spitzengastronomie fand. Über Bier-Trends und seine ungewöhnlichste Entdeckung der letzten Monate.
Beim Biertrinken liegen die Österreicher im europäischen Spitzenfeld. Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch beträgt 106 Liter. Dass Bier ein derart großes Thema ist, ist auch Conrad Seidls Verdienst. Als sich in den 1980er Jahren alle mit Wein beschäftigten, konzentrierte er sich auf Bier. Heute ist Conrad Seidl – nicht nur Bierliebhabern – als Bierpapst ein Begriff. Diese Bezeichnung ließ er sich bereits in den 1990er Jahren rechtlich schützen. Schon vor der Tätigkeit als Bierjournalist schrieb er über Politik. Damit verbunden waren (und sind) Termine mit Politikern und Beamten, bei denen man sich auf ein Getränk trifft, erzählt Seidl. Nun trinkt der Bierpapst aber keinen Kaffee. Lieber geht er auf ein Bier. „Ich habe gemerkt, wenn ich auch nur ein paar Sätze über Bier gesagt habe, haben mir die Leute zugehört. Da weißt du, du hast ein Thema. Und wenn die Leute etwas darüber hören wollen, dann wollen sie auch etwas darüber lesen.“ 1990 erschien Seidls erstes Buch über Bier, seitdem publizierte er mehr als 40 Bücher. Als Bierjournalist schreibt er für Standard, Falstaff, Getränkefachgroßhandel, Craftbeer Magazin, außerdem für die Zeitschriften Leidenschaft Craft und Brauindustrie, ebenso für Magazine aus dem englischsprachigen Raum.
Seidl beobachtet internationale Trends und reist viel, um Brauereien zu besuchen oder sich mit Größen der Branche auszutauschen. Als Juror fungiert er bei Bierwettbewerben in den USA, Kanada, Israel oder Neuseeland. Die nächste Reise führt ihn Ende April nach Nashville in Tennessee, wo er beim World Beer Cup Teil der hochkarätigen Jury sein wird.
Vor einigen Jahrzehnten noch haftete Bier das Image eines Arbeitergetränks an, beobachtete Seidl. Zwar habe sich am Grundmuster nichts geändert: „Die Leute gehen auf ein Bier, bei einem Bier redet sich’s leicht.“ Was sich aber geändert habe, ist, dass Bier sein „Mundl“-Image ablegen konnte. Bier wird heute anders beworben als noch vor 20 Jahren. „Nicht mehr machohaft oder sexistisch. Das findet man heute nicht mehr. Damit hat sich auch das Image der Biertrinker geändert. Das ist ein wesentlicher Unterschied“, betont Seidl: „Heute weiß man, dass Personen aller Bevölkerungsgruppen Bier trinken. Da hat auch das kleine Craftbier-Segment enorm viel getan, dass Bier plötzlich hip ist.“ Heute trinke man – Männer wie Frauen jeden Alters – neben bodenständigen, traditionsreichen Bieren auch Biere, die sehr intensiv, sehr extrem schmecken.
Food und Bier-Pairing
Bereits in den 1990er Jahren veranstaltete Seidl Dinner mit Bierbegleitung, auch in Wiener Spitzenhotels. Er erinnert sich, wie nach einem Essen einmal eine betagte Dame auf ihn zukam und meinte, sie habe nicht gewusst, dass Bier so vielseitig schmecken könne. Die Gäste müssten es nur angeboten bekommen. Lange seien viele traditionelle Brauereien nicht bereit gewesen, Neues auszuprobieren. „Zu sagen, mein Bier ist ohnehin das Allerbeste, schränkt Innovation ein.“ Da habe sich aber in den letzten Jahren viel zum Positiven verändert.
Um einen Lunch oder Dinner mit passender Bierbegleitung anbieten zu können, müssten Gastronomen bereit sein, Stouts, Pale Ales und IPAs in ihre Karten aufzunehmen. „Es braucht in Österreich in der Küche, am Tisch und im Glas Innovation.“ Für alle Seiten – Brauereien, Gastronomen, Konsumenten – sei es gut, „wenn man auch mit fremden Bieren, Importbieren, unkonventionellen Bieren etwas macht. Nur das bringt etwas weiter.“
Lange hätten viele Konsumenten eine sehr spezifische Erwartung an Bier gehabt. Es sei viel Erlerntes dabei, wie Bier zu schmecken habe – etwa, ob man Bier mit viel oder wenig Kohlensäure bevorzuge. Eine neue, weltgewandte Konsumentengruppe sei aber schon lange bereit, Neues zu probieren. Gerade in der Spitzengastronomie suchen die Gäste nach dem besonderen Geschmackserlebnis. Man muss den Gästen Vielfalt bieten und erklären: „Schau‘ dir an, wenn du dieses Bier mit diesem Essen zusammenbringst, passiert etwas Spannendes“. So passe zu Fisch saures Bier, auf keinen Fall ein Pils. Denn gewisse Inhaltsstoffe von Hopfen würden sich nicht mit bestimmten Fischfetten vertragen und einen metallischen Geschmack im Mund erzeugen. Zu Braten passe belgisches Starkbier, da dieses viel mehr Aroma habe als ein Helles. Mit Blauschimmelkäse harmoniere ein starkes Stout Bier: „Das ist eine Wahnsinns-Kombination. Ich wüsste nicht, wie da ein Wein mithalten sollte, der hat eben nicht die intensive Röstnote.“
Wiener Bierwoche
Seidl freut sich auf die Wiener Bierwoche, die heuer erstmals von 2. – 8. Juli stattfindet und bei der ausgewählte Top-Lokale im Großraum Wien spezielle Menüs mit passender Bierbegleitung anbieten. „Ich hätte gerne gehabt, wenn es die Bierwoche schon vor 20 Jahren gegeben hätte. Es gab im Laufe der Jahre mehrere Anläufe, Bier aktiv in die Spitzengastronomie zu bringen. Aber: man muss Bier aktiv verkaufen, das Bewusstsein für diese Notwendigkeit ist noch nicht sehr alt.“
Die richtige Bierbegleitung zum Essen könne eine Weinbegleitung auf jeden Fall ersetzen, ist Seidl überzeugt. Denn Bier habe mehr Varianten als Wein, da man mit mehreren Zutaten experimentieren könne. Wem würde der Bierpapst eine Bierbegleitung zu Dinner oder Lunch empfehlen? Wenn gesundheitlich nichts dagegenspreche, jedem: „Ich bin überzeugt, dass es für jeden Menschen ein Bier gibt, das ihm schmeckt. Wahrscheinlich sogar mehrere.“
Bier-Trends
Bittere Biere, rauchige Biere, saure Biere, Biere mit 7 Volumsprozent oder mehr. Seidl freut sich über viele Trends, die den Markt beleben und Vielfalt für junge wie ältere Bierliebhaber bringen. Man müsse die eigene Erwartungshaltung von Erlerntem lösen, sich trauen, etwas Neues zu probieren. Dann gibt es Biere zu entdecken, die aufgrund des besonderen Hopfens nach Grapefruit schmecken, obwohl sie mit der Zitrusfrucht niemals in Berührung kamen. Oder ein Bier mit starkem Geschmack nach Haselnüssen, da die Nüsse beim Herstellungsprozess zum Einsatz wurden. Auch: Biere, die zur Nachreifung in Whiskyfässer gefüllt werden, um ein vielschichtigeres Aroma zu entfalten.
Die ungewöhnlichste Entdeckung für den Bierpapst der letzten Monate? Ein Bier einer kleinen niederösterreichischen Brauerei, das nach Schwein schmeckt. Wie der ungewöhnliche Geschmack zustande kommt? Im Sud werden kiloweise Schweinsschädel mitgekocht, weiß Seidl. „Da stellt sich dann die Frage: Ist das eine vergorene Schweinssuppe oder noch ein Bier?“
BIER GUIDE 2018
Seit dem Jahr 2000 gibt Conrad Seidl zusammen mit Germanos Athanasiadis jährlich den BIER GUIDE heraus. Am 13. April erscheint die neueste – mittlerweile 19. Auflage – des BIER GUIDE. Längst ist dieser mehr als eine Hilfestellung für Bierliebhaber, das passende Bierlokal zu finden. Die heurige Auflage enthält 1200 Biere, listet neben Bierlokalen in ganz Österreich verschiedenste Craftbiere und Bierinnovationen, Brauereien und Spezialitätengeschäfte auf und informiert darüber hinaus über Biertrends und Biobiere.
Was denkt die Branche? Dieser Frage ging Conrad Seidl zusammen mit Werner Beutelmeyer auf den Grund. Beutelmeyer ist der Gründer des Linzer Marktforschungsinstituts Market, Universitätslektor in Linz und Innsbruck, Autor mehrerer Bücher zum Thema Marketing und verlässlicher Datenlieferant des jährlichen Bierkulturberichts. 2017 erschien Seidls und Beutelmeyers gemeinsames Buch BIERBUSINESS. Was die Branche denkt. Das Werk basiert auf einer Umfrage, bei der rund 12.000 Personen befragt wurden. Mehr als 3000 Branchen-Insider haben ausführlich geantwortet: Braumeister, Journalisten, Sommeliers, Politiker, Gastronomen, Getränkehersteller, Zulieferer, Handel und Funktionäre. Zudem wird der historische Weg von Bier beleuchtet, Daten und Fakten geboten sowie Experten-Talks mit Stakeholdern der Branche.
Auf Gastronews wird Bierpapst Conrad Seidl in den kommenden Wochen persönliche Empfehlungen zu Menüs der Wiener Bierwoche abgeben.