Alexander Wimmer ist als Wirtshauskind groß geworden und kennt den dazugehörigen Alltag in und auswendig. Wie das Leben im Gasthaus ohne Gäste aussieht hat uns der junge Gastronom geschildert. Eine Reportage.
Gaweinstal. „Zwei Seelen wohnen, ach! In meiner Brust“ wusste schon Faust in Goethes Dichtung seinen Gemütszustand zu beschreiben. Seine zwiegespaltene Einstellung zu einer Sache belastete Faust. Das beschreibt auch den Gemütszustand eines Wirtshauskindes in der Coronakrise ganz gut. Klatsch und Tratsch zu erfahren, dafür gibt es das Wirtshaus und für ein Wirtshauskind gibt’s keinen besseren Ort für seine persönliche Entwicklung. Die andere Seite: Dauerhaft guter Laune zu sein, immer zum Zuhören aufgelegt und vor allem das private Familienleben meist mit anderen Menschen teilen zu müssen. Das Leben spielt sich hauptsächlich im Wirtshaus ab, die Küche ist das Esszimmer, der Küchentisch der Ort für alle Sorgen, Nöte und für gute Nachrichten. Der Gastraum das Wohnzimmer, die Schank der Beichtstuhl. Der Wirt oder die Wirtin der Seelsorger.
Wirtshauskind, 26 Jahre, und auch trotz Coronakrise täglich im Gasthaus. Ein solches kennt es nicht anders. Das Leben wird bestimmt vom Auf- und Zusperren der Wirtshaustüre, von den Menschen, die kommen und gehen. Nahrungsaufnahme und Privatleben spielen sich dort ab, wo andere Abwechslung, Ansprache und Vergnügen suchen.
Als Wirtshauskind hatte man natürlich auch Vorteile, mit Geld wusste man schnell umzugehen, denn Trinkgeld wurde kleinen, servierenden Buben gerne gegeben. Für die persönliche Entwicklung ist das Aufwachsen im Wirtshaus unvergleichbar, ständig unter Menschen, dauerhaft freundlich und keine Scheu vor einem Gespräch. Eltern und Großeltern, ja, eigentlich die ganze Familie traf sich täglich um 12:00 Uhr zum Kaffee am Küchentisch des Wirtshauses, der gelegentlich zu klein wurde, aber niemand dachte daran, in den Gastraum auszuweichen. Ein Wirtshauskind ist untrennbar mit dem Wirtshaus verbunden. Es wächst im Wirtshaus heran und wurde davon fürs Leben geprägt.
Und dann Corona. Das Schließen sämtlicher gastronomischer Einrichtungen wurde angeordnet. Die Angst ging um. Wie wird es weiter gehen? Sonntag ein letzter jämmerlicher Frühschoppen. Viele kamen nicht mehr. Es wurde heiß diskutiert. „Das sei alles übertrieben und unnötig!“ behaupteten die einen. „Ich halte mich daran!“ raunten die Anderen. Montagfrüh. Das Gasthaus blieb geschlossen, es wurde zum Wirtshaus. Denn es war nur mehr der Wirt z’Haus.
Die Woche ging so weiter. Wir genossen einfach. Doch dann schlug die Stimmung um. Der erste Sonntag. Die Türe blieb zu. Der erste Gast, der immer die Karten auf den Tischen vorbereitete und das Kalenderblatt blieb aus.
Die Coronakrise forderte auch ihr erstes Opfer und ein Gast wird nach der Krise nicht mehr an seinem langjährigen Platz sitzen. Vielleicht wird ein Anderer dort sitzen. Ja, es ist eine große Familie, die zusammenhält. An diesem Ort werden Sorgen und Nöte für eine Zeit lang hintenangestellt. Freude und geselliges Beisammensein stehen im Vordergrund. Wann wird diese Zeit wiederkommen? Ist das Leben als Wirtshauskind Fluch oder Segen oder doch beides zugleich? Natürlich ist das ein wenig überspitzt formuliert. Zum Gastronomen wird man geboren. Manchmal ist es nicht einfach, dauerhaft gute Laune zu haben und immer an den Gesprächen der Gäste interessiert zu sein. Die Coronakrise lässt zum Vorschein kommen, was wirklich wichtig ist. Der Gastronomenfamilie fehlen ihre Gäste.
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