Das einzige, was ich vor meinem ersten Besuch über das Procacci wusste, war, dass ich vor meiner Geburt schon einmal hier war. Mit meinen Eltern natürlich und auch nur im Vorläuferlokal, dem berühmten Göttweiger Stiftskeller, wo meine Mutter im Durchgang des alten Lokals Abkühlung suchte in den letzten, heißen Tagen vor meiner Geburt.
Die ersten Eindrücke beim Betreten des Lokals beinhalten wie bei einer Opern-Ouvertüre bereits alle Elemente: Töne, Gerüche, Geräusche, Farb- und Formeindrücke, die sich in den folgenden Stunden entfalten würden…
Die Entscheidung zuerst in die Bar oder gleich ins Restaurant zu gehen, haben wir glücklicherweise für die Bar getroffen. Die Abtrennung von Bar und Speiseräumen durch Glastüren im Eingangsbereich folgt einer innenarchitektonisch höchst gelungenen Idee. So ist die musikalische Untermalung in der Bar deutlich lauter, die feinen, geradezu berauschenden Aromen entfalten sich ungehindert und der Einsatz von Pipetten verstärkt den Eindruck in einer „pharmazeutischen Bar“ zu sein. Der berühmte Bartender Marco Pani, wie alle anderen Mitarbeiter auch, spricht mit den Kollegen zwar italienisch, was zum Geschmack von Authentizität beiträgt, doch mit den Gästen unterhält er sich in perfektem Deutsch. Erzählt wissenswerte Geschichten über seine aus Amerika stammende Trinkkultur während er vor deinen Augen mit Pipetten die Bitters manipuliert, Gläser mit Kräutern und Orangenzesten parfümiert und mit Fingerspitzengefühl sein Handwerk beweist.
Der Wechsel in das Restaurant bringt eine deutlich niedrigere Lautstärke der Musikberieselung, welche durchaus Stimmung erzeugend, aber niemals störend wirkt. Das hochwertige Interieur, Edelhölzer und viel Glas, setzt sich fort und geht eine harmonische Verbindung mit dem alten Gemäuer ein. Über das kurz aufflackernde Gefühl hier zum Schauobjekt für Passanten zu werden, muss man sich entschlossen hinwegsetzen.
Alles schön und schlicht. Sepia gefärbte Bilder schmücken die Wände, hier erweckt eine italienische Ankündigung eines Konzerts von Schubert, der in den Räumlichkeiten des Göttweiger Hofs wohnte und arbeitete, mit Alfred Brendel als Interpreten den Eindruck einer Hommage an das Traditionsgebäude und das Gastland.
Doch wird in allem anderen das italienische Lebensgefühl stark nach außen getragen. Alle Produkte sind regional vom Olivenöl bis zum Wasser.
Die Stiltreue setzt sich fort in der Auswahl der Tischwäsche: alles schlicht und weiß, keine Kerzen, keine Blumen. Das Tischgeschirr wechselt zwischen weißem Porzellan und Glas, der Eindruck verstärkt die Transparenz der Linie, ich bevorzuge weißes Porzellan für die Präsentation von Speisen! Die Bequemlichkeit der gepolsterten Sitzbänke ist hoch und lässt einen auch über längere Zeit bequem verharren.
Das Service, äußerst zuvorkommend ohne aufdringlich zu sein, gibt wenig Chancen mit leerem Glas oder leerem Brotkorb dazusitzen. Eine Speise hat der Koch selber gebracht und damit die Möglichkeit geboten über das Gericht persönlich mit ihm zu reden.
Die Präsentation folgt dem Motto: Weniger ist mehr und spart dabei an übertriebenen Deko-Elementen, womit er bei mir punkten konnte.
Alles in allem ein wunderbarer Rahmen für ein wunderbares Essen. Die Karte ist gut überschaubar, traditionelles an erster Stelle, kein Hang zur experimentellen Küche – das zeugt von Selbstvertrauen aus der Küche.
Die Bruschetta ist vom Grundprodukt, wie alles im Angebot, erste Qualität. Eines der genialsten Brote, die ich je gegessen habe. Da Paradeiser im März nicht voll reif sind, ist es eine mutige Entscheidung Paradeiser zu dieser Jahreszeit anzubieten. Überlegungen auf regional und saisonal umzustellen scheint es hier nicht zu geben. Die Paradeiser-Concasseé, eindeutig nicht klassisch französisch mit pochierten, gehäuteten Paradeisern hergestellt, punktet jedoch ausgezeichnet mit Basilikum und erstklassigem Olivenöl extra vergine parfümiert.
Die Papardelle con ragú di vitello, 14,50/18,50 €, sind wie beim Edel-Italiener erwartet, frisch gemacht und al dente an Perfektion sehr hoch angesiedelt. Das tomatisierte Kalbfleischragout wird jeder Erwartung gerecht, wobei der übermäßige Einsatz von Basilikum zu hinterfragen ist, weil es den zarten Urgeschmack des Kalbfleischs etwas überschattet.
Das filetto di branzino alla griglia, mit 24 € lange nicht das teuerste Gericht auf der Karte, ist von der Art der Zubereitung unübertroffen. Die Haut so knusprig, dass man jeden Bissen angenehm zwischen den Zähnen spürt und das Fischfleisch so saftig zart, dass es am Gaumen zerrinnt. Die Cocktailparadeiser wurden mit dem Grün serviert, was ich aus meiner Lehrzeit als Tabu abgespeichert habe, aber als Originalität gewertet und damit toleriert werden kann. Auch findet man ab und zu ein nicht mariniertes Blatt Rucola und nicht alle Elemente am Teller sind somit verarbeitet worden, was dem Grundsatz widerspricht, wonach jedes Element, dass seinen Weg auf den Teller findet einer Vorbehandlung unterzogen werden sollte. Auch hier punktet aber der feine Eigengeschmack des nussigen Rucola.
Die Saltimbocca erinnert an die edle Kalbsvariante eines Wiener Rostbratens. Hier begegnen wir der Königsdisziplin jeder guten Küche, dem hausgemachten, perfekt abgeschmeckten Jus, der hier ausgesprochen angenehm ohne jedes Bindemittel auskommt. Perfekt ergänzt mit dem dazu servierten Erdäpfelpüree, das mit dem Grundgeschmack eines guten Erdapfels auskommt. Puristisch und treffend!
Hier im Procacci ist das Dessert, anders als in so manchem ordentlichen Restaurant, durchaus kein Stiefkind, sondern ein weiterer Höhepunkt. Das Soufflé di cioccolato, mit 9,90€, das teuerste auf der Dessertkarte, ist auch an guter Kochkunst kaum zu überbieten. Beim ersten Anstechen breitet sich der flüssige, duftende Kern auf dem Teller aus….
Zuletzt der Espresso, nachdem ein Kenner einen Italiener auf seine Güte prüft, war auf ganz hohem Niveau angesiedelt. Er hatte eine wunderschöne Crema und der klare Kaffeegeschmack gab auch einen Hinweis darauf, dass die Maschine gut gereinigt und gewartet wurde.
Ein weiteres Highlight ist das Weinangebot. Wie nicht anders zu erwarten dominieren ausgezeichnete italienische Weine die Karte, darunter Weine der Familie Antinori. Aber auch ein neuseeländischer Wein, sowie in alter Verbundenheit mit den Pachtherren zwei Weine aus dem Stift Göttweig in der Wachau, werden angeboten. Zu jedem Gang werden die entsprechenden Weine empfohlen. Eine gewisse Weißweinlastigkeit empfand ich bei der empfohlenen Weinbegleitung zum Kalbsragout, ließ mich jedoch darüber aufklären, dass es sich um eine regionale Besonderheit handelt.
Fazit:
Das Procacci ist für Liebhaber der italienischen Küche, auch bei einem hohen Preisniveau, unverzichtbar. Mit der Kombination von moderner Bar und gut gediegenem Restaurant, dürfen sich Gäste jeder Altersklasse willkommen fühlen. Auch wenn der Durst an experimentellen Elementen durch die Küche nicht komplett gestillt wird, ist er spätestens durch die außergewöhnlichen Drinks an der Bar gelöscht. Alles in allem, wird man am Ende kulinarisch-kultiviert und mit einem wohligen Gefühl im Bauch heimkehren.
Ein wahrer Italiener, der jeden Ausflug in die Wiener Innenstadt zu einer Reise in die Tiefen Italiens verwandeln kann.
Ristorante Procacci
Göttweihergasse 2
1010 Wien
01 51 222 11
Mo-Sa: 11:30 – 01:00 Bar
Mo-Sa: 11.30 – 24:00 Restaurant
So-und Feiertag geschlossen!