Culinarius (Wien) Culinarius im großen Interview mit KommR Mag. Wolfgang Kleemann, Generaldirektor der Österreichischen Hotel und Tourismusbank (ÖHT). Wir haben mit ihm über die Freizeitwirtschaft, sein analoges Dienstleistungsverständnis und über den Espressoeffekt, der nachhaltig das Freizeitverhalten unserer Gäste verändern wird, gesprochen.
Culinarius: Die ÖHT, Österreichische Hotel und Tourismusbank, hat letztes Jahr ihr 70 jähriges Bestehen gefeiert und bewährt sich seither als Partnerin der Republik Österreich. Können sie uns eine kleinen Einblick in die Entstehungsgeschichte der ÖHT geben?
Kleemann: „Die ÖHT wurde 1947 als Treuhänderin der Mittel aus dem Marshallplan gegründet. Zweck war es, den Wiederaufbau der Wirtschaft zu unterstützen indem man dem Tourismus, damals noch Fremdenverkehr genannt, ein Instrument der Wirtschaftsförderung zur Verfügung stellt. In den fünfziger bzw. sechziger Jahren, also in der Wachstumsphase des Fremdenverkehrs, wurden allerdings immer mehr Mittel gesucht bzw. benötigt. Wir haben daraufhin vom damaligen Handelsministerium diese Mittel noch ergänzende zur Verfügung gestellt bekommen, haben parallel dazu begonnen unser Selbstverständnis aufzubauen, und sind dann den Weg, weg von einer reinen Förderstelle, hin zu einer ganzheitlich finanzierenden Bank gegangen“.
Culinarius: Die ÖHT bietet ein sehr breites Förder- bzw. Finanzierungsportfolio an. Sind die einzelnen Bedürfnisse der Unternehmer in der Freizeitwirtschaft so unterschiedlich? Wie charakterisieren sie ihr Klientel?
Kleemann: „Der Tourismus hat sich als Wirtschaftszweig ganz massiv entwickelt und seine Bedeutung für Österreich in den letzten Jahrzehnten dramatisch erhöht. Weiters kommen auch regulatorische Kriterien hinzu die der klein- und mittelbetrieblichen Wirtschaft im Allgemeinen, und der klein- und mittelbetrieblich geprägten Tourismuswirtschaft im Besonderen, Zugänge zu Finanzierungsformen verwehrt, die anderen Branchen zur Verfügung stehen. Ich denke hier an Aktienkapital, Mittelstandsfinanzierungsgesellschaften bzw. alles was dem Gewerbe und der Industrie aufgrund seiner großbetrieblichen Struktur viel leichter zugänglich ist als unserer kleinteilig organisierten Tourismuswirtschaft. Man muss bedenken, dass über 95% der Tourismusbetriebe kleine familiäre Strukturen aufweisen, und dass ein Hotelbetrieb in Österreich durchschnittlich nur 34 Betten hat. Wir finanzieren somit zum Großteil Unternehmerfamilien mit unterschiedlichsten Finanzierungs- und Förderungsbedürfnissen, das bedarf somit auch eines breiten und spezialisierten Portfolios unsererseits“.
Culinarius: Dem ÖHT Jahresbericht zufolge werden seit einigen Jahren zweistellige Zuwachsraten bei der Nachfrage an geförderten Krediten verzeichnet. Auf was führen sie diesen Investitionsboom in der Freizeitwirtschaft zurück?
Kleemann: „Seit ca. 2014 gibt es einen echt Schub an Investitionen in der Tourismuswirtschaft. Der erste Grund dafür liegt nachfrageseitig an den jährlichen Rekordnächtigungszahlen. Diese haben das Bewusstsein geschaffen, dass es notwendig ist einen gewissen Zeitstempel aus den Betrieben rauszubekommen. Speziell dort wo der Sommertourismus die Hauptrolle spielt und man in den letzten Jahrzehnten Investitionen in die Ausstattung von zeitgeistigen Betrieben versäumt hat. Der zweite Grund liegt an einer Sonderförderaktion des Jahres 2017 mit dem Titel „Investitionszuwachsprämie“. Die Republik Österreich hat jenen Betrieben eine zusätzliche Förderung gegeben die mehr als im Durchschnitt der letzen drei Jahre investiert haben. Das hat natürlich aufgrund der Attraktivität dieser Förderung dazu geführt, dass Betriebe auch vorgezogen investiert haben“.
Culinarius: In welche Maßnahmen oder Projekte sind diese Förderungen konkret geflossen?
Kleemann: Neben qualitätssteigernden Maßnahmen war ein Investitionsschwerpunkt sicherlich die Betriebsgrößenoptimierung. Viele unserer touristischen Betriebe sind zu klein um sich positiv wettbewerbsmäßig positionieren zu können bzw. können sie sich die Infrastruktur nicht leisten, die der Gast heutzutage haben möchte. Hinzu kommt eine stark degressive Fixkostenstruktur der Branche. Denken sie beispielsweise an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Rezeption. Die Personalkosten sind die selben, unabhängig davon ob 20 oder 40 Zimmer betreut werden. Das heißt, es wurde viel in die Optimierung der Kapazitäten investiert. Aber auch im Bereich der betrieblichen Infrastruktur, sprich Attraktivitätssteigerungen für den Gast hinsichtlich Freizeitgestaltung, Schlechtwetterprogramme, saisonerweiternde Angebote etc. wurden verstärkt Investitionen getätigt.
Culinarius: Ein Bereich dem in letzter Zeit immer wieder, vor allem auch von politischer Seite, eine hohe Relevanz hinsichtlich zukünftiger Wettbewerbsfähigkeit zugesprochen wird, ist der Bereich der „Digitalisierung“. Wie ist die Freizeitwirtschaft diesbezüglich aufgestellt. Sehen sie hier noch Defizite oder sind die Betriebe gut vorbereitet?
Kleemann: „Die Freizeitwirtschaft hat ganz genau verstanden was für unsere Branche Digitalisierung heißt bzw. heißen soll. Ich denke wir machen einen Fehler wenn wir mit Digitalisierungsmaßnahmen versuchen wollen das Persönliche aus unseren Betrieben zu eliminieren. Wir müssen völlig analog denken wenn wir im direkten Kontakt mit dem Gast stehen, aber digitalisiert denken wenn es um Gestaltung und Perfektionierung von Dienstleistungen geht. Damit meine ich beispielsweise die Bereiche Informationsbeschaffung, Marketing, Akquisition etc. Der Gast möchte rasch Informationen über unterschiedliche zur Verfügung stehende Angebote haben, online diese Angebote selektieren und auch gleich eine Bestätigung per E-Mail nach einer erfolgten Buchung erhalten. Diesem Gast ist aber ebenso die persönliche Betreuung vor Ort, die Möglichkeit einer persönlichen Ansprache, enorm wichtig. Ich denke dass die richtige Kombination aus analogen und digitalen Dienstleistungen der richtige Weg ist um auch zukünftig die Position als Top Tourismusdestinationen zu halten“.
Culinarius: So wie die Digitalisierung das Konsumentenverhalten verändert, verändert seit einigen Jahren das Thema Crowdfunding bzw. Crowdinvesting den Finanzierungsbereich. Wie bewerten Sie diese alternative Finanzierungsform?
Kleemann: „Ich bin überzeugt davon, dass diese Art der alternativen Finanzierung niemals ein „alleinglücklichmachendes“ Finanzierungsinstrument sein wird. Jene Mittel die aus der Crowd kommen sind verglichen mit konventionellen Finanzierungsmöglichkeiten, insbesondere wenn es auch Fördermöglichkeiten gibt, erstens zu teuer und zweitens in der Laufzeit zu kurzfristig. Ich glaube aber, dass Crowdfinanzierung in Kombination mit unseren Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten eine tolle Gesamtfinanzierungsstruktur darstellt, in der mindestens drei Mehrwerte für zu finanzierende Projekte enthalten sind. Erstens hat man durch das Crowdmodell eine echte Marktforschungsfunktion. Wenn man merkt, dass sich das Interesse an einem Finanzierungsprojekt nicht kurzfristig aufbaut, ist auch klar, dass sich das Interesse des potentiellen Klientels des Projektes, seien es Hotelgäste, Restaurantgäste etc. nicht kurzfristig aufbauen wird. Zweitens sehen wir, dass Crowdfinanzierungsprojekte gegenüber ausschließlich konventionell finanzierten Projekten, eine kürzere Anlaufphase haben. Die Crowd bzw. die Investoren bilden eine Art Interessenslobby die sich Projekte oder Produkte, an deren Finanzierung sie beteiligt waren, sehr rasch anschauen, sobald diese am Markt verfügbar sind. Das heißt die Marktfindungsphase, die ein Betrieb normalerweise benötigt bis er sich etabliert hat, verkürzt sich deutlich. Drittens sehen wir, dass es Unternehmen die eine Crowdfinanzierung anstreben, aufgrund dieser Interessendiskussion die daraus entsteht, gelingt, auch bei konventionellen Finanzierungsmechanismen einen Markt aufzubauen. Es ist ein spielerisches Element dass hier für eine seriöse Finanzierungslinie geöffnet wird“.
Culinarius: Wie bewerten sie bei dieser alternativen Finanzierungsform das Risiko für Investoren?
Wir bieten Crowdfinanzierungen ausschließlich in Verbindung mit unseren eigenen Finanzierungsprodukten an. Wir kommunizieren der Crowd, dass wir ein Projekt so genau geprüft haben, dass wir selber daran glauben und dass wir selber bereit sind Risiko einzugehen. Wir drehen also den Entscheidungsprozess um und lassen uns vorher sämtliche Bank- und fördertechnischen Finanzierungsbestandteile bewilligen, und erst wenn wir sicher sind, ein Projekt ausfinanzieren zu können, signalisieren wir das der Crowd. Das heißt nicht, dass ein Projekt nicht auch einmal scheitern kann, aber wir vermitteln den Investoren dass sie mit dem Risiko nicht allein sind.
Culinarius: Wie sieht der typische Prozess aus den Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer durchlaufen wenn sie um Förderungen oder Finanzierungen bei der ÖHT ansuchen?
Kleemann: „Wir wollen hier bewusst als Reibebaum zur Verfügung stehen. Wir laden die Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer ein mit dem Projekt zu uns zu kommen und wir diskutieren in einem Expertenkreis bei uns im Haus das Vorhaben, besprechen die im Businessplan angenommenen Parameter und können diese aufgrund unserer großen Bilanzdatenbank auch auf Tragfähigkeit prüfen. Weiters geben wir Input zum angenommenen Investitionsvolumen bzw. ob Erlöse, Aufwendungen und operativen Ergebnisse plausibel sind. Wenn das der Fall ist, dann versuchen wir auch noch zusätzlich eine gewisse Art von Sicherheit, vor allem in den Fragen der Umsetzbarkeit, gewerbebehördliche Auflagen, tatsächliche Finanzierbarkeit etc., zu geben. Ist unsere Prüfung positiv, schmieden wir für die Jungunternehmerin, den Jungunternehmer einen strukturierten Finanzierungsplan. Wir geben ihr bzw. ihm einerseits unsere Erfahrung, und andererseits, in der Finanzierung, die Bonität der Republik Österreich mit auf den Weg. Dies hilft natürlich auch, sollte ein Projekt zusätzlich über die ÖHT hinaus, noch andere Finanzierungsquellen ansprechen wollen“.
Culinarius: Wie sieht so ein strukturierter Finanzierungsplan aus? Wie hoch ist erfahrungsgemäß der Eigenkapitalanteil den Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer bereitstellen?
Kleemann: „Unsere Richtlinien sehen ausdrücklich vor, dass mindestens 25% der Gesamtinvestitionen aus Eigenmitteln bereitzustellen sind. Nachdem diese 25% Eigenmittel eine Finanzierungshürde darstellen können, weil der Unternehmer womöglich das Geld noch nicht aufgebracht hat, helfen wir mit Crowdfinanzierung um in diese 25% Eigenmittel zu kommen. Somit haben wir die Möglichkeit eine Finanzierungslücke zu schließen indem wir für uns auch Crowdmittel als Eigenmittelbestandteil anerkennen“.
Culinarius: Wie würden Sie die typische ÖHT Kundin, den typischen ÖHT Kunden charakterisieren?
Kleemann: „Wir sehen, dass Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer tendenziell älter werden, wobei wir für uns das Wort „Jungunternehemer“ nicht mit dem tatsächlichen Alter verbinden, sondern mit dem Zeitpunkt des erstmaligen unternehmerischen Auftretens am Markt. Gerade in der Gastronomie ist dies bemerkbar. Interessant ist auch, dass sich traditionelle Konzepte und moderne, wenn man will ausgefallene Projekte, die Waage halten. Dass heißt, in etwa die Hälfte der Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer setzt auf altbewährte, erprobte bzw. traditionelle Konzepte. Erfreulich ist auch, dass wir seit einigen Jahren einen Anstieg der Zahl an weiblichen Unternehmensgründern verzeichnen“.
Culinarius: In welche Richtung entwickelt sich Ihrer Meinung nach die Freizeitwirtschaft? Wie wird sich das Konsumentenverhalten ändern bzw. auf welche Veränderung muss sich die Branche einstellen?
Kleemann: „Ich glaube dass sich in Zukunft der Trend, den wir jetzt schon merken, fortsetzt. Es werden alle Entscheidungen hinsichtlich Freizeitgestaltung, Urlaubskonsum oder Restaurantbesuch noch kurzfristiger getroffen werden weil auch die diesbezüglichen Informationen schneller verfügbar sind. Freizeit wird auch immer öfter, dafür aber in kleineren Dosen konsumiert.
Ich nenne das den Espressoeffekt. Gäste möchten immer mehr Koffein in immer weniger Flüssigkeit und das in immer kleineren Tassen. Es wird also alles konzentrierter wenn man das so sagen möchte. Wir sehen beispielsweise dass Sportarten die kürzere Freizeit in Anspruch nehmen beliebter sind als jene die länger dauern. Den Espressoeffekt merken wir auch in der Hotellerie an der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von Gästen. Diese ist im Vergleich zu dem Zeitraum von vor ca. zehn Jahren, massiv zurückgegangen. Gäste bleiben kürzer und werden anspruchsvoller, geben aber in dieser kurzen Zeit heutzutage mehr Geld aus als früher bei längerer Aufenthaltsdauer. Diesen Ansprüchen gerecht zu werden wird eine der Hauptaufgaben der zukünftigen Freizeitwirtschaft werden. Weiters glaube ich auch, dass das Vernetzen von Angeboten aufgrund dieser genannten Entwicklung immer wichtiger wird. Wir müssen dem Gast ein Möglichkeit bieten, und hier spielt die Digitalisierung eine große Rolle, Produkte optimiert aus einer Hand, im virtuellen Sinn gemeint, bekommen zu können“
Culinarius: Denken sie dass zukünftige Generationen weniger preissensibel sind wenn es um Freizeitkonsum geht?
Kleemann: „Ich denke dass zukünftige Generationen, und dies kann man ja auch schon heutzutage beobachten, ein völlig anderes Wertegefüge haben werden. Für viele wird Freizeitempfinden in konzentrierter Form einen ganz anderen Stellenwert haben als es heute der Fall ist. Der Erholungsfaktor wird immer weniger Rolle spielen und der Erlebnisfaktor immer mehr an Bedeutung gewinnen. Das ändert natürlich auch das Kosten/Nutzenverständnis, und hat somit auch Einfluss auf die Preissensibilität beim Freizeitkonsum“:
Wir danken für das Interview.
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Mag. Andreas Lindorfer ist geschäftsführender Gesellschafter der Culinarius Gastronomiebeteiligungs GmbH i.G. und beschäftigt sich seit Jahren mit Themen rund um die Gastronomie. Culinarius bietet mit einem Media for Equity bzw. Consulting for Equity Programm eine innovative, finanzielle Ressourcen schonende, Möglichkeit für Unternehmer und Startups, professionelle Beratung und Werbung in Anspruch zu nehmen.
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